Steigender Alkoholgehalt in Fässern

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  • Anonymous
    Themenersteller
    User Anonymous
    Dabei seit: 04.05.2004Beiträge: 5,870Bewertungen: 0

    Hallo alle,

    Ich bitte gleich vorweg, meine Frage und Aussagen nicht als pure Provokation auszulegen... aber...

    Ich verstehe es bis heute nicht, wie in einem Fass der Alkoholgehalt bei der Lagerung - wo auch immer - ansteigen kann.

    Die Physik lehrt uns da doch recht eindeutig, dass aufgrund des Dampfdruckes von Alkohol im Vergleich zu Wasser IMMER (unter den meines Wissens in den Lagerhäusern vorherrschenden Bedingungen) der Alkohol in höherem Ausmaß verdampft, als das Wasser - Ausnahme sind die azeotropen Gemische, Schnittpunkte der Dampfdruckkurven von zwei Komponenten, was aber im Falle Whisky bei ca. 96,5% (ich weiß den genauen Wert jetzt nicht) Alkohol wäre.

    Lange und ausführlich haben wir schon in e-mail-Forums-Zeiten Lösungsmöglichkeiten diskutiert - von den Kapillarwirkungen des Eichenholzes, der höheren Konzentration von Alkoholdämpfen unter dem Lagerhausdach, die aus dort gelagerten Fässern mehr Wasser entweichen lassen, als Alkohol, und so weiter und so fort....
    Allein mir fehlt nach wie vor der Glaube.

    Bin ich da zu sehr in der Naturwissenschaft verhaftet, als dass ich neben den Reifegeheimnissen was die Aromen betrifft, auch noch diesen "letzten Mythos" der Whiskywelt akzeptieren könnte?

    Fällt ein Stein nicht immer zu Boden? - Gibt es eine bestimmte Konstellation, Höhe,... bei der er es nicht tut? (Zentripetal- und -fugalkräfte einmal außer Acht lassend?, denn auch Whiskyfässer werden keiner speziellen "Behandlung" unterzogen und liegen einfach in ihren Lagerhäusern...)

    Gibt es eine glaubwürdige Erklärung für das Phänomen der Alkoholsteigerung in einem Fass - außer die Aussage eines Lagermeisters, der es selbst gesehen und gemessen hat?
    Welche physikalische "Hilfskonstante" ist hier nötig, um unter "normalen" Lagerbedingungen die Grundsätze der Physik aufheben zu können?

    Vielleicht ist mir etwas entgangen, und die Erklärung liegt ohnehin schon längst auf der Hand - oder wir sitzen alle einem netten Märchen auf, über das einige Lagermanager hinter unseren Rücken lächeln. Es wäre ja nicht die erste schottische Legende....
    Allerdings kann ich mich auch erinnern, dass eine Gruppe der "Alkoholsteigerungsvertreter" auch aus den USA kommt - bei Bourbon sollte es auch schon vorgekommen sein...

    Auf Antworten über den letzten Stand der Dinge freue ich mich jetzt schon sehr!

    Viele Grüße!
    Manfred aus Ö

  • Michael_H User Dabei seit: 25.07.2004Beiträge: 92Bewertungen: 0
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    "Manfred_Ö" schrieb:
    Gibt es eine glaubwürdige Erklärung für das Phänomen der Alkoholsteigerung in einem Fass - außer die Aussage eines Lagermeisters, der es selbst gesehen und gemessen hat?
    Welche physikalische "Hilfskonstante" ist hier nötig, um unter "normalen" Lagerbedingungen die Grundsätze der Physik aufheben zu können?

    Mal was Grundsätzliches, auch wenn ich jetzt selber keinen Erklärungsversuch für dieses Phänomen beisteuern kann:

    Die Gesetze der Physik werden dabei bestimmt nicht "aufgehoben". Entweder steigt der Alkoholgehalt mitunter tatsächlich an -- dann wird das Ganze irgendeine physikochemische Erklärung haben. Oder aber es ist eben doch nur Legende. Die Physik wird deswegen bestimmt nicht neu geschrieben werden müssen...

  • Kurt_A User Dabei seit: 30.06.2004Beiträge: 43Bewertungen: 0
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    Wir dürfen hier nicht den Fehler machen eine höhere Verdunstung des Alkohols allgemein anzunehmen. Vielmehr sollten wir das Fass als System betrachten.

    Also eine Erklärung könnte dann sein, dass die Fasswand für Alkoholdampf eher durchlässig ist als für Wasserdampf (und dass diese Durchlässigkeit auch eventuell mit den Bedingungen im Lager zusammen hängt).

    Eine Erklärung für die höhere Durchlässigkeit von Alkohol könnte sein, dass die Fässer in irgendeiner Art eine lipophile (oder ölige) Oberfläche erhalten haben. Wie oder warum das geschehen ist weiss ich aber leider auch nicht. Vielleicht wollen damit findige Brennmeister verhindern dass zuviel Whisky verdunstet, obwohl ja gerade das den Alterungs- und Reifeprozess ausmacht...

    Kurt

  • Rainer_B User Dabei seit: 28.06.2004Beiträge: 154Bewertungen: 0
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    "Kurt_A" schrieb:
    Also eine Erklärung könnte dann sein, dass die Fasswand für Alkoholdampf eher durchlässig ist als für Wasserdampf
    Kurt


    Hallo,

    genau dann müsste aber der Alkohol schneller verdampfen, der Whisky müsste schwächer werden.

    Ich muss zugeben, diese Frage beschäftigt mich auch, denn ich bin promovierter Physikochemiker - und habe trotzdem keine Ahnung. Kann nur spekulieren:

    Z.B. könnte tatsächlich das Faß eine Rolle spielen insofern, dass es das größere Ethanol-Molekül schlechter durch die Wände entweichen läßt als das kleinere Wasser-Molekül, welches durch kleine Poren im Holz flutscht (allerdings bildet Wasser Cluster durch Wasserstoffbrücken-Bindungen und ist dann "groß"). Das Faß müsste dann permanent "tropfen". Ist natürlich möglich, denn ein Faß kann gar nicht perfekt dicht sein. Selbst eine Stahlflasche für Druckgas läßt Wasserstoff durch, weil Wasserstoff so klein ist, dass er langsam durch die Poren der Stahloberfläche entweichen kann. Nach Jahren/Jahrzehnten ist so eine Flasche dann leer. Eine Flasche Krypton bleibt viel länger voll.

    Z.B. könnte das Prinzip des kleinsten Zwangs gelten. Der Alkohol verdampft innerhalb des Fasses und füllt den Luftraum im Faß. Irgendwann ist die Luft mit Ethanol gesättigt, d.h. weiterer Ethanol kann nicht aus dem Whisky entweichen. Es könnte aber Wasserdampf entweichen, der sich mit dem Ethanol/Luft-Gemisch mischt und ein neues Gleichgewicht bildet. Damit kein Überdruck entsteht, müsste aus dem ursprünglichen Gleichgewicht ein Teil des Ethanols zurück in den Whisky (glaube ich nicht) oder aus dem Faß heraus (glaube ich eher). In letzterem Fall könnte dann aber wieder Ethanol aus dem Whisky in das Faß ausgasen. Ich vermute, dass diese Theorie einer genaueren wissenschaftlichen Prüfung nicht standhalten würde.

    Z.B. könnte der verdampfende Alkohol Wasser mitreissen, d.h. tatsächlich verdampft ein Gemisch aus Ethanol und Wasser (müsste das ein Azeotrop sein?). Dann müsste aber trotzdem mehr Alkohol entweichen als Wasser.

    Z.B. könnte die Temperatur in Kombination mit der Luftfeuchtigkeit entscheidend sein. In sehr warmer Umgebung und sehr trockener Luft könnte vielleicht neben Alkohol besonders viel Wasser verdampfen, ehe die Umgebung "normale" Parameter annimmt. An den Haaren herbeigezogen?

    Also, ich habe keine Ahnung. Werde die Sache mal mit Kollegen durchdiskutieren.

    Beste Grüße,
    Rainer

    Igitor gefällt das
  • Kurt_A User Dabei seit: 30.06.2004Beiträge: 43Bewertungen: 0
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    Oh ja, du hast natürlich Recht. Dann müsste also tatsächlich aus irgendeinem Grund eher der Wasserdampf durchgelassen werden... Da fällt mir dann aber auch kein anderer Grund ein.

    Kurt

  • Anonymous
    Themenersteller
    User Anonymous
    Dabei seit: 04.05.2004Beiträge: 5,870Bewertungen: 0
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    Hallo alle,

    Zuerst einmal herzlichen Dank, dass ich hier zumindest Ansätze einer Erklärung finde - und nicht nur mit einer längst abgeklärten "Selbstverständlichkeit" hadere.

    Wie es scheint, ist es doch nicht so einfach, den Alkoholanstieg in Fässern nachvollziehbar zu erklären. Ich bin selbst ein Chemiker (allerdings schon ein paar Jahre vom Studium entfernt), und mir sagen natürlich alle Gleichgewichtsansätze (Wasser/Alkohol, Lipohilie, Cluster und Größe bei H2O-Molekülen,...) etwas - aber selbst wenn ich das Fass als Gesamtheit betrachte, habe ich den mir unbegreiflichen Widerspruch:

    Wenn es einen Alkoholanstieg in Fässern geben sollte, kann für Fässer, die in Dachlagen (wo immer wieder behauptet wird, gerade dort stiege der Alkoholgehalt) lagern, nicht grundsätzlich anderes gelten, als für jede Reihe darunter. Das ist wirklich so, als würde ein Stein ab einer gewissen Höhe nicht mehr nach unten fallen - physikalische Grundeigenschaften kehren sich doch nicht dadurch um, dass in der Luft statt 0,5% Alkohol unter einem Lagerdach auf einmal 1-2% Alkohol vorhanden ist - und so der Alkohol in das Fass oder zurück in den Whisky gedrängt würde.
    Ein Fass, dass unten ständig an Alkohol verliert (wie es wahrscheinlich 99,9% der Fässer tun), kann nicht etwas höher gelagert auf einmal den Alkoholgehalt steigern - rein logisch betrachtet.

    Es hilft nichts.

    Natürlich verstehe ich, dass unter gewissen Bedingungen mehr oder weniger Alkohol zu den Engeln aufsteigt. Aber - und jetzt kommt mein Problem - es steigt immer mehr Alkohol als Wasser zu den Engeln auf, ob nun schneller oder langsamer... Natürlich auch abhängig von der Dichtheit der Fässer - bei gleichmäßigem Alkohol-Wasser-Verlust würde ich neben dem Durst des Lagerarbeiters auf simple Löcher im Fass tippen....

    Provokativ gesagt: Wofür sonst brennen, wenn man das Bier bloß im Fass lagern müsste, um Whisky zu erhalten?

    Bitte liebe Profis und Wissenden, die Ihr schon einmal mit dieser Thematik zu tun hattet - deckt entweder den Schwindel auf, oder klärt uns ForumsteilnehmerInnen über die Hintergründe auf!

    Ich sehe nämlich höchst erfreut, dass nicht nur ich mir die Zähne an diesem Punkt ausbeiße!

    Mit vielen ermutigenden Grüßen, diesem Geheimnis weiter auf der Spur zu bleiben!
    Manfred aus Ö

  • Kurt_A User Dabei seit: 30.06.2004Beiträge: 43Bewertungen: 0
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    Mal folgendes angenommen:
    In den oberen Lagen sei die Luftfeuchtigkeit höher als unten.

    Dann sieht es doch an der Fasswand folgendermassen aus:

    aussen: hohe Luftfeuchtigkeit, geringer Luftalkohol
    innen: hoher Luftalkohol, hohe Luftfeuchtigkeit.

    Dann würde doch durch die Fasswand in der Summe vor allem Luftalkohol entweichen, während der Anteil der Luftfeuchtigkeit genausoviel rein wie raus gehen würde.

    Könnte das eine Erklärung sein?

  • Kurt_A User Dabei seit: 30.06.2004Beiträge: 43Bewertungen: 0
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    merke gerade:
    dadurch würde dann wieder mehr alkohol als wasser entweichen.

    also wieder nichts.

  • Rainer_B User Dabei seit: 28.06.2004Beiträge: 154Bewertungen: 0
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    Hallo,

    ein Kollege hatte die Idee, die Maserung des Faßholzes könnte den Ausschlag geben. Der Baum ist ja dafür geschaffen, Wasser im Stamm zu transportieren, und nicht Alkohol. Wenn also diese Transportwege besonders gut in einem Faß erhalten geblieben sind, was ja Zufall wäre, würde besonders viel Wasser aus dem Rohwhisky in das Faß "gezogen", was die Alkoholkonzentration steigen ließe. Das halte ich persönlich noch für die plausibelste Erklärung für das Phänomen. Es wäre also rein faßabhängig und würde nur eher selten vorkommen.

    Beste Grüße,
    Rainer

  • Horst_S User, Administrator Horst_S Dabei seit: 07.05.2004Beiträge: 5,211Flaschensammlung:Horst_S SammlungBewertungen: 1364
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    Lange habe auch ich mit diesem Verständnisproblem gekämpft. Wie es Manfred aus Ö schon sagte. Das prinzipielle Verständnis des durchschnittlich gebildeten Menschen spricht dagegen.

    Aber hier ist die Erklärung der Fachleute. Das Prinzip wird gleich klar. Aber ich kann Mangels physikalischer Tabellen die Zahlen nicht überprüfen - vielleicht ließt ja jemand mit, der die Annahmen mit richtigen Zahlen aus Physikbüchern untermauern kann:

    Alkohol verdunstet leichter als Wasser. Nehmen wir einmal an, das Verhältnis wäre 3:2. Während 2 Liter Wasser verdunsten, verdunsten also 3 Liter Alkohol. Jetzt rechnen wir einfach einmal nach:

    In einem 200 Liter Fass befinden sich rund 63,5%*200 Liter = 127 Liter Alkohol. Die restlichen 73 Liter sind Wasser. Nach einer bestimmten Zeiteinheit sind 3 Liter Alkohol und 2 Liter Wasser verdunstet.

    Im Fass sind also 127 - 3 = 124 Liter Alkohol und
    73 - 2 = 71 Liter Wasser. In Summe also nur noch 195 Liter.

    Der Alkoholgehalt rechnet sich damit zu: 124 Liter / 195 Liter = 63,59%

    AHA! Der Alkoholgehalt ist angestiegen, obwohl mehr Alkohol verdunstet ist als Wasser. Es liegt also am Mengen-Verhältnis zwischen Alkohol und Wasser. Je mehr Alkohol in einem Fass drin ist, um so mehr kann der Gehalt später auch ansteigen.

    Mit steigender Temperatur steigen natürlich die Verdunstungsraten von Alkohol und Wasser beide an. Es verdunstet in Summe mehr Flüssigkeit. Wenn sich aber das Verhältnis der beiden Raten zueinander verändert, kann der Alkoholgehalt bei höherer Temperatur auch höher ansteigen.

    Gruß
    Horst Lüning

    Gruß Horst Lüning Admin, Whisky.de
  • Rainer_B User Dabei seit: 28.06.2004Beiträge: 154Bewertungen: 0
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    Hallo,

    klingt gut, aber spontan würde ich dazu neigen, ein ungünstigeres Verhältnis als 3/2 anzunehmen (z.B. 4/1 zugunsten des Alkohols oder sogar noch mehr). Dann sieht die Rechnung ganz anders aus. Wenn das Verhältnis tatsächlich immer 3/2 wäre, würde das bedeuten, dass immer der Alkoholanteil steigen muss. Das ist ja nicht der Fall. Dieses Verhältnis ist also von verschiedenen Faktoren abhängig und rutscht unter bestimmten Bedingungen in einen Bereich, in dem absolut zwar immer noch mehr Alkohol verdampft, aber relativ gesehen mehr Wasser (als im Rohwhisky in Relation enthalten).

    Übrigens habe ich im Whiskylexikon von W. Schobert nachgelesen und bei einigen Stichworten gefunden, dass das Phänomen ausschließlich (?) bei Bourbon beobachtet wird, welcher vor (!) der Abfüllung in das Faß auf Trinkstärke reduziert wird. Wir haben also ein Faß mit nur ca. 40 % Alkohol vorliegen und damit einem Überschuß an Wasser, welches zudem bei deutlich wärmerem Klima lagert. Diese Bedingungen sollen für das gelegentliche Ansteigen des Alkoholgehalts verantwortlich sein. Nun frage ich mich allerdings, ob Bourbon nach der Reifung nochmals mit Wasser versetzt wird, um eine einheitliche Stärke zu erhalten. Das wäre ja ein Aufwand! Man bräuchte zur Herstellung viel mehr Fässer als eigentlich nötig.

    Vielleicht sollte man doch mal ein Phasendiagramm zu Rate ziehen, um den genauen Punkt zu ermitteln, an bzw. ab dem relativ mehr Wasser verdampft als in der Lösung vorhanden.

    Beste Grüße,
    Rainer

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